„Mit Niedriglöhnen abgespeist“

Edeka Minden-Hannover gerät ins Visier von ver.di / Kritik an selbstständigen Unternehmern

„Dumpinglöhne von 6 bis 7 Euro“: Die Gewerkschaftver.di kritisiert die selbstständigen Händlerinnerhalb der Edeka Minden-Hannover.

Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 6. Februar 2013 (lars ruzic).

Hannover. Von solchen Zuschauerzahlen kann mancher Popstar nur träumen. An zwei Sonntagen in Folge sind die Messehallen 12 und 13 zum Bersten voll, mehr als 15 000 Menschen sehen sich eine Revue der besonderen Art an. Die Edeka Minden-Hannover hat geladen, und die Mitarbeiter kommen in Busladungen aus halb Niedersachsen und Westfalen aufs hannoversche Messegelände.

Der Handelsriese will den Beschäftigten Anerkennung zollen und sie mit buntem Showprogramm, Speis und Trank auf das neue Jahresmotto „Mit Liebe und Leidenschaft“ einschwören. Die Veranstaltung am vergangenen Sonntag sei bereits ausgebucht, so ein Edeka- Sprecher, die am kommenden werde es ebenfalls sein. Die Kollegen seien „hellauf begeistert“.

Für alle Teilnehmer dürfte das nicht gelten. Einige verteilten bereits bei der ersten Revue Flugblätter und entrollten ein Transparent. „Edekanns-besser.de“ stand darauf – der Verweis auf eine eigens eingerichtete Internetseite der Gewerkschaft ver.di, die Lohndumping innerhalb der größten deutschen Edeka- Regionalgesellschaft anprangert.

Den Beschäftigten mit aufwendigen Veranstaltungen Anerkennung zu zollen sei schön und gut, sagt der niedersächsische ver.di-Handelsfachmann Heiner Schilling. Doch der Alltag vieler Mitarbeiter sei durch den Abbau von Arbeitnehmerstandards, die Verhinderung von Betriebsräten und Lohndrückerei geprägt.

„In vielen Edeka-Märkten werden Dumpinglöhne von 6 bis 7 Euro gezahlt“, so der Gewerkschafter. Laut ver.di gibt es bei den großen Handelsgenossenschaften Edeka und Rewe eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Auf der Sonnenseite stehen demnach die Beschäftigten in den konzerneigenen Filialen, wo die Gewerkschaft stark ist, Betriebsräte die Beschäftigten vertreten und nach Tarifvertrag bezahlt wird.

Wesentlich härter treffe es dagegen die Mitarbeiter der selbstständigen Unternehmer unter dem Edeka-Dach, behauptet ver.di. Die Einzelhändler, die gleichzeitig Genossenschaftsmitglieder sind, führen ihre Betriebe komplett eigenverantwortlich. Diese Freiheit nutzten sie gern, um Tarife auszublenden und Betriebsräte zu verhindern, so die Gewerkschaft.

Schilling sind nach eigenen Worten unter Hunderten Märkten, die von selbstständigen Kaufleuten in Niedersachsen betrieben werden, gerade drei bekannt, die einen Betriebsrat haben. Den Arbeitnehmervertretern stößt besonders auf, dass Edeka und Rewe immer mehr Supermärkte an Selbstständige übertragen. Schon im Herbst monierte ver.di eine „von der Öffentlichkeit unbemerkte dramatische Entwicklung“, von der bundesweit bereits gut 250 000 Beschäftigte betroffen seien.

Die Folge der sogenannten „Privatisierung“ sei in der Regel, dass einst nach Tarif bezahlte Beschäftigte plötzlich „mit Niedriglöhnen abgespeist werden“. Das aus dem Genossenschaftsgedanken
entstandene Betriebsformat mutiere zu einem „ungeschützten Bereich, der vielfach mit Dumpinglöhnen den Verdrängungswettbewerb weiter anheizt“, sagte seinerzeit ver.di-Bundesvorstandsmitglied
Stefanie Nutzenberger.

Diese Aufregung kann man bei der Edeka nicht verstehen. Privatisierungen gebe es nicht, um Löhne zu drücken, sondern weil die Förderung des Unternehmertums eine zentrale Aufgabe der Genossenschaft
sei, sagt der Sprecher der Edeka Minden. „So steht es schon in unserer Satzung.“

Tatsächlich sind die Mindener damit recht erfolgreich. Gut zwei Drittel der 1566 Edeka-Märkte und damit ein Großteil der mehr als 55 000 Beschäftigten zwischen niederländischer und polnischer Grenze werden inzwischen von Selbstständigen geführt. Erst im vergangenen Jahr wurden 33 Geschäfte abgegeben, 28 davon an Existenzgründer.

Unter dem Dach der Edeka sind längst viele kleine Handelskonzerne in Familienhand erwachsen – wie Wucherpfennig in Hannover oder Cramer in Burgdorf. Den Unternehmern könne man nicht ins operative Geschäft hineinregieren, betonte der Edeka-Sprecher. „Aber natürlich reden wir auch über die Bezahlung.“

Zudem gelte für die Beschäftigten bei einer Privatisierung drei Jahre Bestandsschutz. Eine solch weitgehende Regelung habe keine andere Regionalgesellschaft. Viele Unternehmer hätten längst erkannt, dass man als Vollsortimenter auch auf Beratung und Fachpersonal setzen müsse, das ohne ordentliche Entlohnung kaum noch zu bekommen sei.

Derzeit untersucht die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in Berliner Supermärkten der Edeka Minden, welche Auswirkungen eine Privatisierung auf die Beschäftigten hat. Noch liegen die Ergebnisse der Studie nicht vor. Erste Rückmeldungen der Wissenschaftler fasste der Edeka-Sprecher so zusammen: „Alles halb so wild.“

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(C) 2013 Ver.di Niedersachsen/Bremen - Fachbereich Handelzuletzt aktualisiert: 23.05.2014